Die Freiheit der Ärzte - Schließt Euch endlich zusammen!

BSG Urteil. Ärzte im Notdienst nicht automatisch selbstständig

(Siehe u. a.: https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/146823/Bundessozialgericht-Poolaerzte-nicht-automatisch-selbststaendig)

Das Problem der Scheinselbstständigkeit ist komplex. Der Bundesverband der Honorarärzte (BV-H e.V.) beschäftigt sich seit seiner Gründung im Jahr 2008 intensiv mit diesem Thema. 


Honorarärzte - Notärzte - Praxisvertreter und Poolärzte - alle Ärzte?

2019 urteilte das Bundessozialgericht über Honorarärzte und zog für eine selbstständige Tätigkeit im Bereich der Klinikvertretungen sehr enge Grenzen. 2021 folgte die Absage der Selbstständigkeit für Ärzte, die als Notärzte (nicht Notdienst) im öffentlichen Rettungsdienst tätig sind und an Ärzte, die Praxisvertretungen übernehmen. Nunmehr trifft es 2023 die Kolleginnen und Kollegen, die sich als sog. "Poolärzte" im KV-Notdienst betätigen. 

Wir hatten bereits vor Jahren auf das grundsätzliche Problem der sog. Scheinselbstständigkeit hingewiesen haben versucht, andere ins Boot  zu holen und deutlich zu machen, dass es nur eine Frage der Zeit ist, wann alle diese Tätigkeiten zur abhängigen Beschäftigung erklärt werden. Leider ohne Erfolg. Jetzt haben wir den Salat!

Typisch für die Standespolitik der deutschen Ärzteschaft ist nämlich, dass sie immer nur Teilbereiche aus der eigenen und mehr oder weniger kleinen Perspektive betrachtet und nicht in der Lage ist, gemeinsam für ein Ziel - hier das Recht auf eine freie und selbstständige ärztliche Tätigkeit - einzutreten. Geradezu anachronistisch ist es, dass ausgerechnet in den Zeiten des Ärzte- und Fachkräftemangels und des demografischen Wandels immer mehr verunmöglicht wird, essenzielle Bereiche der medizinischen Versorgung durch flexible Lösungsansätze (Poolärzte, Freiberufler, Honorarärzte) aufrechtzuerhalten. Da wird von einer Reform der Notfallmedizin konfabuliert, ohne zu begreifen, dass diese Bereiche schon seit Jahren nicht mehr mit dem angestammten Personal ausgefüllt werden können, geschweige denn in der nahen Zukunft, wenn Tausende von Boomer-Ärzte in Rente gehen werden. 

Deshalb eine kleine Abhandlung zum Thema Scheinselbstständigkeit 


Eine kurze Historie

Im Laufe der 1990er-Jahre kommt es zu einer politischen Debatte über eine mutmaßlich steigende Zahl von Menschen, die ihre Existenz zwischen abhängiger und selbstständiger Erwerbstätigkeit finden. Sog. Scheinselbstständige erfüllen zwar formal die Voraussetzungen für Selbstständigkeit, aber aufgrund der tatsächlichen Arbeitssituation sind sie eher einem Arbeitnehmer vergleichbar. 

Der Gesetzgeber erklärt in dieser Debatte einerseits das Schutzbedürfnis des Einzelnen vor der ungewollten Selbstständigkeit ("ungeschützte Vertragsverhältnisse") als auch das Schutzbedürfnis des Staates vor dem Verlust von Beitragszahlern in die Sozialversicherungssysteme ("Erosion der Beitragsbasis") zum Grund für das 1999 unter der Regierung Schröder verabschiedete Gesetz, das erstmals definiert, wer als scheinselbstständig und damit als abhängig beschäftigt gilt und wer nicht. Sozialversicherungsrechtlich gelten Scheinselbstständige als Arbeitnehmer. Der Arbeitgeber und sie selbst müssen also anteilig Beiträge zur Sozialversicherung entrichten. 


Sozialgesetzbuch

Aktuell ist dieser Umstand im Sozialgesetzbuch IV (SGB IV) festgeschrieben. Dort heißt es recht einfach formuliert: 

"...Beschäftigung ist die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers." 

Beide Merkmale (Weisung und Eingliederung) sind allerdings nur Anhaltspunkte. 

Das Vorliegen einer Beschäftigung setzt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts voraus, dass der Beschäftigte seine Tätigkeit nicht frei gestalten kann, sondern in einen fremden Betrieb eingegliedert ist und dabei grundsätzlich einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. 

Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeits- oder Dienstleistung. Weichen die Vereinbarungen von den tatsächlichen Verhältnissen ab, geben Letztere den Ausschlag. Letztlich kommt es für die Beantwortung der Frage, welches Rechtsverhältnis (Selbstständigkeit oder abhängige Beschäftigung) im Einzelfall vorliegt, stets auf eine Gesamtwürdigung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls an. 


Fehlende Definition der Selbstständigkeit

Schon seit Jahren gibt es deshalb Forderungen an die Politik für Klarheit zu sorgen, da im Gesetz nur die abhängige Beschäftigung typisiert ist. Es fehlt an einer eindeutigen gesetzlichen Definition der Selbstständigkeit. Der Selbstständige wird nur über eine Abgrenzung zum abhängig Beschäftigten beschreibbar. Es ist daher auch nicht verwunderlich, wenn sich viele Gerichte (Arbeits- und Sozialgerichte) seit Jahrzehnten immer wieder mit der Frage selbstständig oder abhängig beschäftigt auseinandersetzen müssen. Dabei zeigen die zahlreichen Urteile, dass es auch Juristen nicht immer leicht fällt, eine eindeutige Entscheidung zu treffen. 


Scheinselbstständigkeit - Konsequenzen

Wird ein Auftragsverhältnis nachträglich zu einem Arbeitsverhältnis eingestuft, kann der frühere Auftraggeber (jetzt "Arbeitgeber") rückwirkend für bis zu 4 Jahre (Bis zu 30 Jahre bei vorsätzlicher Hinterziehung!) zur Zahlung des Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteils aller Anteile der Sozialversicherung (das sind Renten- , Kranken-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung) verpflichtet werden. Er ist gegenüber der Einzugsstelle zunächst Alleinschuldner für die Gesamtschuld.

Der Arbeitnehmer haftet dagegen maximal drei bis vier Monate gegenüber dem ehemaligen Auftraggeber. Diese kann nur dann von ihm die Arbeitnehmeranteile einfordern, wenn diese kurze Frist noch nicht abgelaufen ist. Das bedeutet, dass es für den Arbeitnehmer nur in seltenen Fällen zu einer Rück- oder Nachzahlung an seinen früheren Auftraggeber kommt.


Freiwilliges Statusfeststellungsverfahren

Vor der Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung Bund können die Beteiligten eine Klärung der Statusfrage (Statusfeststellungsverfahren) erreichen. Das Anfrageverfahren ist jedoch nur dann möglich, wenn die Deutsche Rentenversicherung selbst im Zeitpunkt der Antragstellung noch kein Verfahren eingeleitet hat. Bei einem freiwilligen Statusfeststellungsverfahren auf Antrag bleibt die Feststellung einer abhängigen Beschäftigung finanziell folgenlos. Das bedeutet, dass dann keinerlei Nachzahlungen zu leisten sind. Trotzdem sei an dieser Stelle von einer wiederholten Anwendung von Statusfeststellungsverfahren bei ähnlichen Tätigkeiten und Auftragsverhältnissen gewarnt. Dies kann u. U. als vorsätzlicher Missbrauch des Verfahrens gewertet werden.


Früher Not, heute Privileg - Ärzteversorgung

Nahezu alle Ärzte führen ihre Rentenversicherungsbeiträge aus einem Arbeitsverhältnis oder ihrer selbstständigen Tätigkeit nicht an die gesetzliche Rentenversicherung (DRV) ab, sondern an ein ärztliches Versorgungswerk. Diese berufsständische Altersversorgung freier Berufe geht u. a. auf die Sozialreformen Ende der 1950er-Jahre zurück. Unter Adenauer war man damals der Auffassung, dass freie Berufe der gesellschaftlichen Solidarität nicht bedürften und sich selbst um ihre Alterssicherung zu kümmern hätten. Nicht die Ärzte selbst haben sich der gesetzlichen Rentenversicherung "entzogen", sondern sie wurden aus dieser praktisch ausgeschlossen. Ausgehend von Bayern gründeten sich danach in vielen Ärztekammerbezirken entsprechende Versorgungswerke, die heute bundesweit existieren.

Berufsständische Versorgungswerke sind für Menschen mit sog. „Kammerberufen“ (Rechtsanwälte, Architekten, Apotheker, Steuerberater) also eine Pflichtversicherung. Ob sie wollen oder nicht, sie müssen einen Teil ihrer Einkünfte an diese zur Altersvorsorge abführen. Nur deshalb können sich Ärzte auch von der gesetzlichen Rentenversicherung (DRV) befreien lassen, denn sonst zahlten sie doppelt. 

Für andere (Solo-)Selbstständige existieren solche Modelle nicht. Sie sind im Gegensatz zu den verkammerten Berufsgruppen sehr viel mehr gefährdet, im Alter keine ausreichenden Rücklagen gebildet zu haben (Altersarmut).


Ausnahmen machen keinen Sinn!

Waren es 2019 "nur" wir Honorarärzte, die in Kliniken auf freier Basis dort aushalfen, wo es zu Personalausfällen gekommen war, traf es 2021 freie Notärzte und Ärzte, die Praxisvertretungen übernahmen, wenn der Inhaber erkrankt- oder aus anderen Gründen ausgefallen war. Nun "erwischt" es die notdiensttuenden Ärztinnen und Ärzte (Pollärzte).

Während der Öffentlichkeit nicht bewusst ist, welche verschiedenen Formen freier ärztlicher Tätigkeit in den Zeiten des Fachkräftemangels zur Aufrechterhaltung wesentlicher medizinischer Versorgungsstrukturen verantwortlich sind, kümmern sich unsere Standesvertreter vor allem um ihr jeweiliges "kleines Häufchen ärztlichen Elends", für das sie zuständig sind. Anstatt sich endlich um eine vernünftige gesetzliche Regelung für ALLE Ärzte einzusetzen, die frei und selbstständig arbeiten wollen, verzetteln sie sich in Forderungen nach Ausnahmen für diese und jene Gruppe. 

Dabei gibt es eigentlich keine Unterschiede zwischen der Tätigkeit von Honorarärzten im Bereich der Klinik, des Notarztwesens, der Praxisvertretungen oder des KV-Notdienstes. Allen gemeinsam ist der Wunsch nach einer unabhängigen und selbstbestimmten Tätigkeit. Allen gemeinsam ist, dass es keine eigenen Berufsgruppen sind, sondern eine Möglichkeit der ärztlichen Berufsausübung, die genauso "ehrenhaft" und sinnvoll ist, wie jede andere Form ärztlicher Berufsausübung. Diese Tätigkeiten müssen in Zukunft wieder legal und gesetzeskonform möglich sein. Und dafür sollten sich Bundesärztekammer, Landesärztekammern und die Fachverbände zusammen mit den Kassenärztlichen Vereinigungen und der KBV endlich G E M E I N S A M einsetzen. 

Man könnte den Bogen auch noch sehr viel weiter spannen, wenn man einen Blick auf andere Berufsgruppen wirft, die verzweifelt gegen das Problem der Scheinselbständigkeit vorgehen wollen und Verbündete suchen. Ganz aktuell protestieren freiberuflich und selbständig tätige IT-ler:

https://www.dbits.it/aufruf-dbits-gegen-unzureichenden-rechtsrahmen/

Aber dazu müsste man erst recht über den eigenen Tellerrand blicken. Da habe ich allerdings so meine Zweifel.
 

N. Schäfer - November 2023

Mustervertrag für Praxis und Klinik

 

Bestellen Sie jetz unsere Musterverträge für Klinik und Praxis

Aktuelle Auflage - 6.0

Die Broschüre enthält zwei ausführlich kommentierte Vertragsmuster:

1. Einen freien Dienstvertrag / Honorarvertrag für Vertretungstätigkeiten in Praxis und MVZ.

2. Einen Arbeitsvertrag für Kurzzeitanstellungen und Tätigkeiten auf Abruf zwischen Ärzten und Kliniken in direkter Vereinbarung.

An der Entstehung des Mustervertrages haben mehrere erfahrene Juristen mitgewirkt. Mitgliedern des Bundesverbandes der Honorarärzte e.V. wird der Mustervertrag kostenlos zugesandt.

Alle anderen Interessenten können den Mustervertrag für eine Schutzgebühr von 38,45 Euro (netto) zzgl. Versandkosten (+1,60 € netto) beim BV-H e.V. per E-Mail bestellen.

Ziel des Mustervertrages ist es eine Richtschnur für die Punkte zu geben, die einer vertraglichen Abstimmung zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer sowie Arbeitgeber und Arbeitnehmer bedürfen. Jeder Abschnitt des Mustervertrages ist ausführlich juristisch kommentiert und soll dem Leser die dahinter stehenden Überlegungen und Problemfelder aufzeigen.

Die vom BV-H e.V. vorgeschlagenen Inhalte und Formulierungen sind nicht für jeden Einzelfall anwendbar und bedürfen einer Anpassung an die individuellen Anforderungen. Der Mustervertrag für Honorarärzte (BV-H e.V.) ersetzt daher keine Rechtsberatung durch einen qualifizierten Juristen. Der Mustervertrag wird regelmäßig überarbeitet und an aktuelle Entwicklungen angepasst. Die Ausgabe 6.0 berücksichtigt die neue Rechtslage durch das BSG-Urteil vom 04.06.2019. Anregungen und Ergänzungen sind jederzeit willkommen!

 

BSG Rechtsprechung zu Notärzten und zu Praxisvertretungen

Der 12. Senat des Bundessozialgerichts hat in seiner Sitzung vom 19. Oktober 2021 mehrere grundsätzliche Entscheidungen zum Beitragsrecht in der Sozialversicherung gefällt. In drei Entscheidungnen beschäftigt er sich mit der Sozialversicherungspflicht von Notärzten. Wie erwartet, wurde die Tätigkeit als abhängige Beschäftigung gewertet:

https://www.bsg.bund.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2021/2021_26.html

Kurzinfo: Ärzte sind stets pflichtversichert in einem ärztlichen Versorgungswerk. Sie können sich also nie komplett von der Altersvorsorgepflicht befreien lassen, wie das für andere Solo-Selbständige möglich ist. Die Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherung dient lediglich dazu, nicht doppelte Rentenversicherungsbeiträge leisten zu müssen. In einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis - auch, wenn es abgabenfrei ist - greifen allerdings die Regelungen des Arbeitszeitgesetzes. Dies wird in absehbarer Zukunft eine Nebentätigkeit von Ärzten als Notärzte verunmöglichen. Da bereits heute jeden Tag Hunderte von Notarztdiensten vor allem im ländlichen Raum unbesetzt blieben, wenn nicht Freiberufler und Ärzte in Nebentätigkeit diese übernähmen, sind Engpässe nunmehr vorporgrammiert. Der Gesetzgeber ist deshalb dringend aufgefordert, die Notarzttätigkeit als selbständige ärztliche Tätigkeit zu definieren.

 


Ein weiteres Urteil fällte das BSG zur Frage der Vertretungstätigkeit in Arztpraxen:
https://www.bsg.bund.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2021/2021_26.html

Fällt der Inhaber einer Arztpraxis wegen Krankheit aus oder fehlt dieser aus anderen Gründen, gibt es Ärztinnen und Ärzte, die solche Praxisvertretungen für eine begrenzte Dauer übernehmen. Bisher tun sie das in der Regel als Freiberufler und auf Honorarbasis. Mit diesem Urteil hat sich das BSG dazu positioniert und stuft auch solche Tätigkeiten als abhängige Beschäftigungen ein. Das Urteil bezieht sich allerdings auf eine Gemeinschaftspraxis, in der mehrere Ärzte gemeinsam eine Praxis betreiben. Ob die Rechtsprechung bei einer Einzelpraxis anders ausfallen würde, kann man derzeit nur spekulieren. Uns wundert, dass die Kassenärztlichen Vereinigungen zu diesem Thema nahezu sprachlos sind, betrifft es doch alle ihre Mitglieder in erheblicher Weise. Der Hinweis auf ein Statusfestellungsverfahren durch die DRV bringt - wie auch dieses Urteil verdeutlicht - keine Lösung. Ganz im Gegenteil. Auch hier sollte der Gesetzgeber eine Regelung vornehmen, die flexible Praxisvertretungen auf freier Basis ermöglicht.

 

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BV-H e.V. - N.Schäfer, 27.10.2021

Impfstoffe für alle Ärzte

Jeder approbierte Arzt darf impfen! - Sofortige Freigabe aller Impfstoffe für approbierte Ärzte.

Der Bundesverband der Honorarärzte e. V. fordert die sofortige Freigabe der in Deutschland zugelassenen Impfstoffe für alle approbierten Ärzte. Diese müssen ab sofort das Recht zur Bestellung von Impfstoff über die Apotheken erhalten. Jeder Arzt wäre dann in der Lage, in seinem Umfeld Impfungen anzubieten und durchzuführen.

Jens Spahn: „Impfstoff, um jeden zu impfen, ist nun da. Bitte nutzen Sie es!“

Die EU-Kommission hat die Mitgliedsländer der Europäischen Union nach eigenen Angaben inzwischen mit ausreichend Corona-Impfstoff versorgt, um mindestens 70 Prozent der erwachsenen Bürger vollständig zu impfen. Kommissionschefin Ursula von der Leyen teilt mit, bis Sonntag würden insgesamt rund 500 Millionen Impfdosen verteilt worden sein. Sie rief die EU-Länder auf, die Impfkampagnen zu forcieren. In Deutschland haben laut Gesundheitsminister Jens Spahn mittlerweile 35 Millionen Bürgerinnen und Bürger und damit 42,1 Prozent den vollen Impfschutz, 48,4 Mio oder 58,2 Prozent sind mindestens einmal geimpft. "Das ist gut - aber im Wettlauf mit der Delta-Variante reicht das noch nicht", twittert Spahn und ruft zum Impfen auf. "Impfstoff, um jeden zu impfen, ist nun da. Bitte nutzen Sie es!" (Der Tagesspiegel 10. Juli 2021 11:54 Autor: Sven Lemkemeyer )

Wenn ausreichend Impfstoff vorhanden ist, ist eine weitere Beschränkung der Verordnungsfähigkeit durch Privatärzte, die eine Privatpraxis betreiben oder Vertragsärzte nicht mehr zu rechtfertigen. Das Berufsrecht der deutschen Ärzteschaft (Bundesärzteordnung und Musterberufsordnung) kennt keine Ärzte erster (= Vertragsärzte), zweiter (Privatärzte mit eigener Praxis) oder gar dritter Klasse (alle anderen Ärzte). JEDER approbierte Arzt darf Medikamente verschreiben und verordnen und am Patienten einsetzen. JEDER Arzt darf die Indikation zur Impfung stellen und die Impfung durchführen. Das gilt auch für Ärzte, die keine eigene Praxis betreiben. Die Freigabe der Impfstoffe für jeden approbierten Arzt ist damit ein Beitrag zur Erhöhung der Impfquote.



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BV-H e.V. - N.Schäfer, 10.7.2021

Update Impfärzte - selbständig und versichert?

Tätigkeit in Impfzentren bis 31.12.2021 sozialabgabenfrei und unfallversichert.

Im Zuge der Anpassung des Sozialgesetzbuches durch das sog. MTA-Reformgesetz wurde die Tätigkeit als Impfarzt von der ges. Rentenversicherungspflicht bzw. von den Abgaben zur Sozialversicherung befreit:

In den Artikeln 14a bis 14d ist geregelt, dass die Einnahmen von Ärzten, die in Impf- oder Testzentren tätig sind, nicht sozialversicherungspflichtig sind. Diese Ausnahme gilt aber nur bis zum 31.12.2021(!). Die dort tätigen Ärzte sind außerdem gesetzlich unfallversichert. Dies ist vor allem bei Wegeunfällen, Nadelstichverletzungen und eigenen Infektionen von essenzieller Bedeutung.

Der Gesetzgeber formuliert es folgendermaßen:

"Einnahmen aus Tätigkeiten als Ärztin oder Arzt in einem Impfzentrum im Sinne der Coronavirus-Impfverordnung oder einem dort angegliederten mobilen Impfteam sind in der Zeit vom 15. Dezember 2020 bis zum 31. Dezember 2021 nicht beitragspflichtig. "

Vergl.
https://www.bundesrat.de/SharedDocs/beratungsvorgaenge/2021/0001-0100/0083-21.html
https://dejure.org/BGBl/2021/BGBl._I_S._274

Impfärzte sind jetzt also selbständig?*

(*Wir verwenden übrigens bewusst die alte Schreibweise)

Das bedeutet jedoch NICHT, dass es sich um eine klare selbständige Tätigkeit handelt. Es besteht lediglich eine befristete Abgabenfreiheit. Das ist insofern nicht ganz ohne Bedeutung, weil damit die Möglichkeit besteht, die Tätigkeit als Impfarzt zivil- und steuerrechtlich als Arbeitsverhältnis anzusehen. Dies könnte auch bedeuten, dass dann wiederum das Arbeitsrecht greift und das Arbeitszeitgesetz zu beachten ist. Aber: Wo kein Kläger, da kein Richter. Drücken wir also die Daumen bis zum 31.12.2021!

 

Stellungnahme des BV-H e.V.

Anstatt endlich eine vernünftige und grundsätzliche Regelung für die freie und selbständige Tätigkeit von Ärzten zu treffen, wird lediglich die Abgabenfreiheit der Impftätigkeit bis zum Jahresende festgeschrieben, um die sog. "Scheinselbständigkeit" zu vermeiden.

Dieses Vorgehen erinnert leider an die schnell hingekritzelte und ebenfalls schlampige Regelung der freien Notarzttätigkeit. Mit Verlaub, aber ich kann es nicht mehr höflich formulieren.

Was war geschehen?

Im Jahr 2015 wurden durch ein fragwürdiges Urteil des LSG Mecklenburg-Vorpommern (Az: L 7 R 60/1) fast mit einem Schlag alle freien und externen Notärzte zu Scheinselbständigen. Dumm nur, wenn nahezu 100 Prozent aller Notarztwachen im Bundesland MV auf freie Notärzte angewiesen sind.

Nun gilt es also zu hoffen, dass nach dem 31.12.2021 keine Impfärzte mehr gebraucht werden. Es wird ja auch nie wieder eine Pandemie geben. Auch hier kann ich es nicht mehr ohne Ironie formulieren.

 

Das Gegenteil von nachhaltig

Diese Regelung ist nicht nur nicht nachhaltig, sie ist äußerst kurzsichtig und im Hinblick auf die gesamte ärztliche Versorgung in solchen Situationen absolut unglücklich.

Und zwar deshalb:

Zunächst sind nicht nur in den Impfzentren Honorarärzte im Einsatz - oder formulieren wir besser "Ärzte, die honorarärztlich tätig" sind. Die meisten von ihnen dürften hauptsächlich anderen Tätigkeiten in Kliniken und Praxen nachgehen.
Diese "Honorarärzte auf Zeit" sind aber auch in den Kliniken gefragt. Dort wären in den Pandemiehochphasen sicher viel mehr Honorarärzte zum Einsatz gekommen, wenn nicht ein ebenso fatales Urteil des Bundessozialgerichts vom Juni 2019 dafür gesorgt hätte, dass diese Tätigkeit praktisch immer die sog. Scheinselbständigkeit bedeutet. Die Kliniken sind damit entweder auf Ärzte angewiesen, die sie selbst anstellen können, oder sie müssen Ärzte über teure Personalagenturen in Arbeitnehmerüberlassung einsetzen.

Die Kosten für den Einsatz von externen Ärzten haben sich damit für die Krankenhäuser praktisch verdoppelt(!).

 

Dabei ist der gesetzlichen Sozialversicherung keinerlei Dienst erwiesen worden. - Warum?

Leider ist die Antwort etwas kompliziert: Ärzte, die als Ärzte tätig sind, sind stets in einem Ärzteversorgungswerk rentenversichert. Von der Beitragspflicht in diesen berufsständischen Versorgungswerken können sich Ärzte nie befreien. Wer also als Arzt arbeitet, MUSS immer für das Alter vorsorgen. Das ist bei vielen Selbständigen in anderen Berufen nicht der Fall.

Damit nun Ärzte nicht doppelt zur Kasse gebeten werden, besteht in einem Beschäftigungsverhältnis (Angestelltentätigkeit) immer die Möglichkeit, sich als Arzt auf Antrag bei der DRV von der gesetzlichen Rentenversicherung "befreien" zu lassen. Diesem Antrag wird in allen Fällen stattgegeben. Arbeitgeber und Arbeitnehmer zahlen dann zu je 50% die Beiträge an das Versorgungswerk und nicht mehr an die DRV (= gesetzliche Rentenversicherung, früher BfA).


Beim Honorararzt vor dem Urteil des BSG im Juni 2019 war dies allerdings nicht so eindeutig geregelt. Damals führte die unklare Rechtslage und unterschiedliche Urteile der Landessozialgerichte dazu, dass viele Kliniken ihre Arbeitgeberanteile zur Rentenversicherung an die gesetzliche RV abführten. Die Situation vor dem BSG-Urteil führte damit bei der DRV zu recht ordentlichen "Einnahmen". Etwa immer dann, wenn eine Klinik über mehrere Jahre Honorarärzte eingesetzt hatte und diese dann durch eine Betriebsprüfung der DRV als "scheinselbständig" eingestuft wurden. Wenn es dann der Klinik nicht gelang, den Nachweis zu führen, dass diese Ärzte alle von der gesetzlichen Rentenversicherung befreit waren, folgten erhebliche Nachzahlungen, manchmal in Millionenhöhe.

 

Wie ist die Situation seit dem Urteil des BSG im Jahr 2019?

Honorarärzte oder externe Vertretungsärzte werden nach wie vor gebraucht. In vielen europäischen Ländern ist das kein Problem, weil eine solche Tätigkeit auf Honorarbasis möglich ist. In Deutschland kann diese nur noch in der Arbeitnehmerüberlassung (ANÜ) umgesetzt werden. Ausnahmen sind Ärzte, die sich kurzzeitig von einer Klinik direkt anstellen lassen. Die Zeitarbeit entspricht aber einem Beschäftigungsverhältnis, nämlich bei der Zeitarbeitsagentur. Damit besteht der Anspruch auf Befreiung von der ges. Rentenversicherung. Die DRV geht also leer aus. Insofern hat das BSG mit dem Urteil von 2019 den gesetzlichen Sozialkassen letztendlich einen Bärendienst erwiesen.

Fazit

Wir fordern den Gesetzgeber nunmehr auf, endlich eine grundsätzliche und vernünftige Regelung für den legalen Einsatz von Honorarärzten zu treffen!

Die Corona-Pandemie hat erneut gezeigt, dass es durchaus Situationen in unserer Gesellschaft gibt, bei der die schnelle Hinzuziehung von freien und selbständigen Ärzten ein Gewinn darstellt. Ähnliche Situationen hatten wir während der Flüchtlingskrise und dem Hochwasser an Oder und Elbe. Auch hier übernehmen Honorarärzte Einsätze im Bereich der Krankenversorgung und der notärztlichen Tätigkeit. Solche Katastrophen kann man auch zukünftig nicht befristen!

Ach ja: Glücklicherweise haben die beiden großen Berufshaftpflichtversicherer (HDI und Deutsche Ärzteversicherung) eine pauschale Deckungszusage herausgegeben, wonach die Tätigkeit wegen Corona (Impfen, Beraten, Testen) pauschal in jeder Berufshaftpflicht mitversichert ist. Egal ob als selbständiger oder angestellter Arzt. Eine gesonderte Meldung an die Versicherung ist nicht notwendig.


Wer noch überhaupt keine Versicherung hat, kann eine ärztliche Restrisiko-Versicherung für rund 72 Euro pro Jahr vereinbaren. Dort ist neben der Behandlung in Notfällen, 1. Hilfe, Behandlung von Bekannten und Verwandten, auch die berufliche Tätigkeit in Impfzentren versichert. Von einer Tätigkeit ohne eigene Berufshaftpflichtversicherung muss dringend gewarnt werden. Der Arzt haftet sonst mit seinem gesamten Privatvermögen für evtl. Schäden. Bereits die Abwehr solcher Ansprüche durch Gutachter und Anwälte kann ein Vermögen kosten!

Wir haben übrigens dazu einen TOP-Berater für Versicherungsfragen:

Wolfgang Fries


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für den BV-H e.V. , N. Schäfer im Juni 2021

 

Who cares? - Impflücke bei Privatärzten und freier Pflege

Es gibt sicher viele Menschen, die sich aktuell fragen, wann sie gegen SARS Covid-19 geimpft werden. In der Impfverordnung des Bundes sind in der 1. Gruppe der höchsten Priorität u.a. die Angehörigen des Rettungsdienstes genannt. Dazu zählen auch Notärzte, die im öffentlichen Rettungsdienst eingesetzt werden. Viele Notärzte sind aber nicht angestellt sondern als Freiberufler und Honorarärzte für die öffentlichen Träger des Rettungsdienstes oder für Kliniken tätig. Im niedergelassenen Bereich kümmert sich die Kassenärztliche Vereinigung (KV) um die Impfung von Vertragsärzten.

 

Wer impft eigentlich Privatärzte (ohne KV-Niederlassung = Nichtvertragsärzte) und andere Freiberufler im Gesundheitswesen?


Honorararzt aus Niedersachsen:
"In Niedersachsen erlebe ich gerade eine Realsatire besonderen Ausmaßes. Für Angestellte oder Niedergelassene verläuft die Terminvergabe und Impfung problemlos. In den Krankenhäusern wird das beschäftigte Personal vor Ort geimpft. In den Praxen organisiert die KV die Impfungen über Meldelisten an die zuständigen Impfkoordinatoren.
Mir als ausschließlich selbstständig arbeitenden Honorararzt ist es bisher nicht gelungen, einen Impftermin zu vereinbaren. Die Impfhotline Niedersachsen stellte mir in der letzten Woche einen Wartelistenplatz in Aussicht. In dieser Woche wird gesagt, dass es eine solche Liste gar nicht gibt. Die Ärztekammer und die KV Niedersachsen fühlen sich in keiner Weise zuständig und verweisen z.B. auf das Gesundheitsministerium oder die Impfzentren. Die Impfzentren vergeben Termine nur über eine zentrale Terminkoordination und nicht direkt. Die zentrale Impfkoordinatorin habe ich bisher noch nicht erreicht.  Der mehrfach von offizieller Seite geäußerte Ratschlag mich doch als Impfarzt zu registrieren (ohne dann auch tätig zu werden) oder mich einfach über eine mir bekannte Praxis auf die Warteliste setzen zu lassen, empfinde ich zumindest als fragwürdig.
(...)
In den Telefonaten mit der Ärztekammer und KV waren mehrere immer wiederkehrende Punkte überdeutlich:

  • Praktisch alle privatärztlich tätigen Kolleginnen und Kollegen sind betroffen. Es haben, nach Angaben meiner Ansprechpartner, schon sehr viele Ärzte angerufen und waren verärgert.
  • Ärztekammer und KV lehnen jede Verantwortung ab und weigern sich strikt zu helfen.
  • Es wird immer betont, dass jemand anderes zuständig ist, ohne das gesagt wird, wer zuständig ist. Es wird auf irgendwelche Hotlines oder Behörden vertröstet, die definitiv nicht zuständig sein können."


Honorararzt aus Bayern:
"Heute hatte ich Termin im Impfzentrum Passau-Stadt, mit regulärem Termin wegen dreier Risikofaktoren plus Tätigkeit als Anästhesist und Intensivmediziner. Vor Ort wurde mir dann beschieden, daß ich nicht geimpft würde, da ich eine Bescheinigung eines Auftraggebers (Klinik) aus Nordrhein-Westfalen vorzeigte. Ich solle mich dort impfen lassen. Die Klinik in NRW weigerte sich ihrerseits  "externe" in die interne Impfgruppe aufzunehmen, sie verwies auf das heimatliche Impfzentrum. Und nun?"

Who cares?

 

Der Bundesverband der Honorarärzte (BV-H e.V.) hat im Herbst 2020 per Rundschreiben versucht, die verantwortlichen Institutionen (die Gesundheitsministerien der Länder, das Bundesministerium für Gesundheit, das Robert-Koch-Institut und die Mitglieder der STIKO) auf das Thema Privatärzte, Honorarärzte und freie Pflegekräfte bzw. Personen in Arbeitnehmerüberlassung (sog. Leasingkräfte) aufmerksam zu machen. Wir haben dargelegt, dass es hier eine erhebliche Erfassungs- und Organisationslücke in der Impfstrategie gibt. Wie man jetzt sieht, leider ohne Erfolg.

Es kann nicht sein, dass sich Ärztinnen und Ärzte sowie Pflegekräfte, die tagtäglich mit Corona-Patienten zu tun haben, bittstellend um eine Impfung kümmern müssen und die Immunisierung von systemrelevanten Berufsgruppen einem Lotteriespiel gleicht. Egal ob angestellt, selbständig, freiberuflich oder als Leasingkraft in Arbeitnehmerüberlassung tätig -

Unser Forderung an die Landesärztekammern und Gesundheitsministerien der Länder lauten:

 

Wir fordern die Landesärztekammern auf, sich für die zügige Impfung aller Mitglieder einzusetzen. Die zahlenden Mitglieder der Ärztekammern sind nicht nur angestellte Ärztinnen und Ärzte oder KV-Vertragsärzte. Alle berufstätigen Ärzte sind Mitglieder der Ärztekammern und können von ihren Standesorganisationen erwarten, dass sie sich für ihre Gesundheit und für die Erhaltung der Einsatzfähigkeit einsetzen. Zudem muss dort, wo noch nicht geschehen, eine unkomplizierte Registrierungsmöglichkeit und Servicehotline für alle im Gesundheitswesen tätige Menschen geschaffen werden.

Wir fordern die Landesgesundheitsministerien auf, umgehend eine Erfassungs- und Impfmöglichkeit für alle Personen zu schaffen, die im Gesundheitswesen im engen Patientenkontakt tätig sind. Dazu zählen auch Leasingkräfte, freie und externe Ärzte sowie Pflege- und Betreuungskräfte, die als Selbständige tätig sind.

 

Bundesverband der Honorarärzte - März 2021

Vorsicht vor Scheinselbständigkeit in Corona-Impfzentren

Auch bei einer ärztlichen Tätigkeit für die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) oder öf­fentliche sowie freie Träger eines Corona-Impfzentrums ist die sog. "Scheinselb­ständigkeit" keineswegs ausgeschlossen. Das gilt auch für Honorartätigkeiten in Einrichtungen, die Corona-Abstriche durchführen.

Wir raten daher allen Ärzten, dies bei der KV expli­zit zu erfragen und im Zweifelsfall ein Status­feststellungsverfahren bei der Deutschen Rentenversicherung (DRV) zu beantragen.

Impfzentren sind aktuell Einrichtungen mit fremder Organisationsstruktur, die dem Arzt keinen Spielraum für eine selbständige Tätig­keit lassen. Bisher gibt es dazu keine sozial­rechtliche Grundlage und die Rechtspre­chung im Bereich der Honorartätigkeiten von Ärzten ist seit dem Urteil des Bundessozial­gerichts vom Juni 2019 (Aktenzeichen B 12 R 11/18 R) höchstrichterlich. U.a. wurde darin vom BSG festgestellt, dass der bundesweite Ärztemangel kein Grund dafür sein kann, dass sozialrechtliche Regelungen nicht gel­ten. Auch eine Pandemie setzt das Sozial­recht nicht außer Kraft.

Wenn man jetzt dringend Ärzte sucht, die auf Honorarbasis tätig werden sollen, dann benötigen diese dringend Rechtssicherheit. Das gilt auch für die Betreiber von Impfzentren und deren gesetzliche Vertreter (Vorstände und Geschäftsführer haften persönlich). Es drohen Strafverfahren nach § 266a und 27 StGB für Ärzte und Auftraggeber, die anfangs oft vom Zoll geführt werden. Eine Einstellung des Verfah­rens im Ermittlungstadium ist daher nur sehr schwer zu erreichen. Vergleiche dazu: OLG Hamm (III-4 RBs 468/17).

Der Gesetzgeber ist damit aufgefordert, umgehend die selbständige Tätigkeit von Ärzten gesetzlich eindeutig und rechtssi­cher für Auftraggeber und Auftragnehmer zu regeln. Ansonsten drohen erneut Status­feststellungsverfahren im Rahmen von Be­triebsprüfungen durch die DRV, Strafver­fahren und Nachzahlungen in Millionenhö­he, wie bereits im Klinikbereich geschehen.

 

Zum Hintergrund:

"Bei einer Tätigkeit als Arzt ist eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung nicht von vornherein wegen der besonderen Qualität der ärztlichen Heilkunde als Dienst "höherer Art" ausgeschlossen. Entscheidend ist, ob die Betroffenen weisungsgebunden beziehungsweise in eine Arbeitsorganisation eingegliedert sind. Letzteres ist bei Ärzten in einem Krankenhaus regelmäßig gegeben, weil dort ein hoher Grad der Organisation herrscht, auf die die Betroffenen keinen eigenen, unternehmerischen Einfluss haben." So das BSG.

Dieser höhere Grad der Organisation dürfte mit hoher Wahrscheinlichkeit auch in einem Impfzentrum gegeben sein, auf dessen Organisation (z.B. Steuerung der Patientenströme) der Arzt ebenfalls keinen Einfluss hat. Ärzte, die auf Honorarbasis in einem Impfzentrum arbeiten, sind ganz überwiegend auf die personellen und sachlichen Ressourcen des Impfzentrums angewiesen, die sie bei ihrer Tätigkeit nutzen. Ärzte, die Impfungen in einem solchen Umfeld vornehmen, sind - nicht anders als z.B. bei einem im Krankenhaus angestellten Arzt - vollständig eingegliedert in den Betriebsablauf. Unternehmerische Entscheidungsspielräume sind bei der Tätigkeit als Impfarzt wohl eher nicht gegeben. Zumindest muss man dies auf der Basis der bisherigen Rechtsprechung annehmen.

 

Bundesverband der Honorarärzte e.V.

Dr. Nicolai Schäfer - Dezember 2020

KV und Ärztekammer - Thema verschlafen, setzen!

Sozialversicherungspflicht von Vertretungsärzten

Zitiert aus Dtsch Arztebl 2020; 117(33-34): A-1576 / B-1348

"LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 7. Februar 2020, Az.: L 9 BA 92/18

Wer als Vertretungsärztin beziehungsweise Vertretungsarzt befristet in einem Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) tätig und damit organisatorisch, personell und sachlich vollständig in die vom MVZ bereitgestellte Infrastruktur eingebunden ist sowie nach Stunden bezahlt wird, unterliegt als Beschäftigte/ Beschäftigter der Sozialversicherungspflicht. Das hat das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg entschieden.

Das klagende MVZ wendete sich gegen einen Bescheid der beklagten Rentenversicherung. Diese hatte im Statusfeststellungsverfahren ermittelt, dass der beigeladene Facharzt für Innere Medizin der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung, der sozialen Pflegeversicherung sowie dem Recht der Arbeitsförderung unterliegt. Der Arzt war in einem Zeitraum von drei Monaten im MVZ als Vertretung tätig gewesen. Die Auffassung des sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses teilt das LSG. Maßgeblich sei im Rahmen des § 7 SGB IV eine Gesamtabwägung der Merkmale, die für und gegen eine Beschäftigung sprechen. Zu betrachten sei das Dienstleistungsverhältnis in seiner tatsächlichen Durchführung, nachdem die Vertragsparteien ihre Vereinbarung abgeschlossen haben. Danach habe sich der Arzt für die Zeit vom 1. Oktober 2015 bis zum 31. Dezember 2015 vertraglich verpflichtet, in diesem zusammenhängenden Zeitraum monatlich bis zu 32 Stunden ärztliche Dienstleistungen in den Räumlichkeiten der Klägerin zu erbringen.

Der Arzt sei während seiner Tätigkeit weisungsabhängig und in ein fremdes Unternehmen eingegliedert gewesen. Er habe nur ein untergeordnetes Unternehmerrisiko gehabt. Eine Selbstständigkeit ergebe sich auch nicht aus den Vorgaben des Vertragsarztrechts für das MVZ. Die dem Arzt vertraglich garantierte fachliche Weisungsfreiheit könne nicht ohne Weiteres als ausschlaggebendes Abgrenzungsmerkmal herangezogen werden. Dass er allein die Befunde erhoben, die Diagnosen gestellt und die Empfehlungen gegeben hat, entspricht nach Meinung des Landessozialgerichts allein seiner (fach)ärztlichen Verantwortung und ist für die Frage der Eingliederung als neutral anzusehen. Diese Stellung kennzeichne jeden Spezialisten."

Kommentar

Seit Jahren(!) erreichen uns immer wieder Informationen über Betriebsprüfungen der DRV im Umfeld von MVZ und Arztpraxen bezüglich der sozialversicherungsrechtlichen Einordnung von Praxisvertretungen. Bisher waren dies bei uns eher Einzelfälle. Trotzdem haben wir - ebenfalls vor Jahren(!) - die KBV und einzelne KVen aber auf das Thema aufmerksam gemacht. Bisher ohne besondere Resonanz. Die "Tipps" einzelner KVen erschöpften sich in der Empfehlung, bei Zweifeln, ein Statusfeststellungsverfahren durchzuführen. Dies führt nach unserer Erfahrung in 99,99% aller Fälle zur Feststellung einer abhängigen Beschäftigung. Und was machen die Arztpraxen dann? Warum haben die kassenärztlichen Vereinigungen für ihre MItgieder bisher nichts in dieser Sache unternommen und das Thema weitestgehend verschlafen?

Wohin dies führt, dürfte seit dem Urteil des BSG vom Juni 2019 klar sein. Es ist also nur noch eine Frage der Zeit, dann wird auch der Praxis-Vertretungsarzt in der jetzigen Form kaum noch auf freier Basis möglich sein. Ob sich der Vertragsarzt eine Vertretung in ANÜ leisten kann, möchten wir bei den durchschnittlich 100% höheren(!) Stundensätzen bezweifeln.

Leider können wir gegen tiefschlafende Standesvertreter und ebenso verschnarchte Standesorganisationen nicht viel tun, wie die bisherige Erfahrung im Bereich der Klinikhonorarärzte gezeigt hat. Anstatt den freien Arztberuf auch politisch mit mehr Druck einzufordern, freut man sich in diesen Kreisen mutmaßlich darüber, dass auch dieser „Wildwuchs“ von ärztlicher Freiheit endlich an die Kandarre genommen wurde. Ansonsten dürfte ein solches Urteil nicht ohne massive(!) Proteste aus Kammern und KVen bleiben.

Ich habe davon bisher nichts gehört. Sie!?

N. Schäfer - August 2020

für den

Bundesverband der Honorarärzte e.V.
https://www.bv-honoraraerzte.de
Flemmingstraße 9
12163 Berlin

Jeder approbierte Arzt darf krankschreiben

Die Attestierung einer Arbeitsunfähigkeit (AU) ist in Deutschland nicht nur durch niedergelassene Vertragsärzte ("Kassenärzte") möglich.

In Deutschland gibt es nicht nur Vertragsärzte (sog. "Kassenärzte"). Auch privatärztlich tätige Ärzte, Honorarärzte, und auch angestellte Ärzte können Arbeitnehmern die Arbeitsunfähigkeit (AU) bescheinigen. Ein Besuch beim Kassenarzt und das Warten im u. U. vollen Wartezimmer ist dazu nicht zwingend notwendig. Der Arzt benötigt dazu weder eine offizielle "Niederlassung" noch ist er an die Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) gebunden.

Diese Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist vom Arbeitgeber und vom Kostenträger zu akzeptieren.

Die Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit ist ein ärztliches Attest, das nicht an die kassenärztliche (vertragsärztliche) Tätigkeit gebunden ist. Allerdings müssen die Kosten dafür vom Patienten privat getragen werden, wenn er keinen Vertragsarzt in Anspruch nimmt. Die Gebühren halten sich allerdings in Grenzen und richten sich stets nach der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ), die online eingesehen werden kann (u.a. http://www.e-bis.de/goae/defaultFrame.htm) (Ziffern 70 ff.). Bei einer privatärztlichen Konsultation fallen u. U. weitere Gebühren an, daher sollte man sich beim Nicht-Kassen-Arzt ("Privatarzt") stets vorher über die Kosten erkundigen, die dieser nicht mit der gesetzlichen Krankenkasse abrechnen darf.

Für Ärzte ist es durchaus empfehlenswert, dabei eine inhaltliche Orientierung an den Formularen für die vertragsärztliche Versorgung, die der Privatarzt 1:1 nicht verwenden darf, vorzunehmen. Verschiedene Fachverlage bieten z. B. AU-Bescheinigung in blauer Färbung an. Die Bescheinigung  muss den Namen des erkrankten Arbeitnehmers sowie die Feststellung enthalten, dass der Arbeitnehmer arbeitsunfähig ist und seine berufliche Tätigkeit infolge seiner Erkrankung nicht erbringen kann. Aus der AU- Bescheinigung muss sich auch die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit ergeben.

Nicht  Gegenstand der ärztlichen AU-Bescheinigung für den Arbeitgeber ist dagegen die Ursache der Erkrankung oder der Krankheitsbefund.
Auch aus haftungsrechtlichen Gründen sollte eine Krankschreibung niemals leichtfertig und ohne Kontakt mit dem Patienten durchgeführt werden. Ob sich der Arzt mit einer telefonischen Konsultation begnügt oder nicht, beibt ihm allein überlassen und kann beim Privatarzt nicht durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) vorgeschrieben werden.

Information für Patieten: Wenn Sie Kontakt zu Privatärzten suchen, senden Sie uns eine E-Mail

Coronakrise - Zügige Sozialgesetzänderung dringend geboten

Selbständige Ärzte könnten die Personalnot in den Kliniken lindern, wenn man sie nur ließe.

Der Einsatz von Honorarärzten eröffnet die grundsätzliche Möglichkeit, schnell und flexibel auf besondere Umstände - wie auch auf die aktuelle Pandemie - reagieren zu können. Kliniken, Kommunen und sonstige Einrichtungen können bei Belastungsspitzen oder in besonderen Situationen auf diesen mobilen und hochflexiblen Pool von Experten zugreifen. Dies war bis zum Sommer 2019 bundesweit gängige Praxis, bis das Bundessozialgericht dieser Tätigkeit pauschal die Selbständigkeit absprach (Az.: B12R11/18 R); der Gesetzgeber hat bisher versäumt, dies zu korrigieren.

Dazu ist es jetzt höchste Zeit!

Wir fordern die Bundesregierung auf, die selbständige Tätigkeit von Honorarärzten kurzfristig anzuerkennen und so den legalen Einsatz von mehreren tausend Ärzten zur Entlastung von Kliniken und Gesundheitseinrichtungen zu ermöglichen.

Zum Hintergrund: Ärzte sind, ob selbständig oder angestellt, nahezu ausschließlich in den berufsständigen Versorgungswerken pflichtversichert. Sie zahlen aus ihren Einnahmen regelmäßig Beiträge zur Altersvorsorge und zur Kranken- und Pflegeversicherung. Lediglich die Arbeitslosenversicherung fällt beim selbständigen Arzt weg; er erhält auch keine Leistung daraus.

Kliniken sind derzeit gezwungen, auf Ärzte in Leiharbeit (Arbeitnehmerüberlassung) zurückzugreifen, da sonst erhebliche Nachzahlungen an die Deutsche Rentenversicherung (DRV) und Strafbarkeit drohen. Ärztliche Leiharbeit ist jedoch deutlich teurer und erheblich komplizierter als der Einsatz von selbständigen Honorarärzten. Zudem stehen insgesamt weniger Ärzte für Leiharbeit zur Verfügung. Die Honorararzttätigkeit ist dagegen bestimmt von freier Zeitgestaltung und der Unabhängigkeit von starren Arbeitszeitregelungen.

Im Bereich des Notarztwesens hat der Gesetzgeber im Jahr 2017 eine schnelle Gesetzesänderung durchgesetzt, da die notärztliche Versorgung zusammenzubrechen drohte. Jetzt könnte eine ähnliche Situation im Bereich der Krankenhäuser entstehen.

Ein Großteil der Honorarärzte stammt aus den Fachbereichen Anästhesie und Innere Medizin. Sie sind mehrheitlich für die Intensiv- und Notfallmedizin qualifiziert und sehr erfahren. Das könnte sehr bald von großer Bedeutung sein. Dieses Potential müssen Kliniken jetzt rechtssicher nutzen können.

Unser Vorschlag:

Sinnvoll wäre eine Regelung i.S.d. § 23c Abs. 2 Satz 1 SGB IV. Dieser könnte wie folgt geändert werden:

Einnahmen aus Tätigkeiten als Notarzt / Notärztin im Rettungsdienst oder Arzt / Ärztin im Bereich der stationären oder ambulanten Patientenversorgung sind nicht beitragspflichtig, wenn diese Tätigkeiten 

1. haupt- oder nebenberuflich für mindestens drei unterschiedliche Auftraggeber im Beitragsjahr oder

2. neben einer Tätigkeit als zugelassener Vertragsarzt oder als Arzt in privater Niederlassung ausgeübt werden.

 

18. März 2020 - BV-H e.V.

Zum BSG-Urteil

Am 4.6.2019 hat das Bundessozialgericht sein Urteil zum Thema der Honorarärzte in Kliniken gefällt. Wir sind darüber selbstverständlich nicht glücklich, trotzdem erlöst es uns von der seit Jahren bestehenden Rechtsunsicherheit. Honorarärzte wird es auch weiterhin in Deutschland geben, und die Versorgungsprobleme - insbesonders im ländlichen Raum - werden auch zukünftig nicht kleiner werden. Die Firmen der Zeitarbeitsbranche dürften die eigentlichen "Gewinner" des Richterspruchs aus Kassel sein. Vergleichen Sie dazu u.a.: Interview des VGSD.

NEWS: Nachricht vom 12. Juni 2019: https://www.ndr.de/nachrichten/mecklenburg-vorpommern/Aufnahmestopp-in-Kinderklinik-Parchim,klinik404.html