Notärzte im SGB IV - Das Gesetz greift zu kurz

In der Zwischenzeit durch den Bundesrat beschlossen - Änderung des SGB IV (und VII) - Permanenter Link http://www.bundesrat.de/bv.html?id=0135-17)

Dort heißt es:

Artikel 1a

Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch

Das Vierte Buch Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. November 2009 (BGBl. I S. 3710,3973; 2011 I S. 363), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 11. November 2016 (BGBl. I S. 2500) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

1. In der Inhaltsübersicht wird die Angabe zu § 118 wie folgt gefasst:

§ 118 Übergangsregelung für Tätigkeiten als Notärztin oder Notarzt  im Rettungsdienst“.

2. § 23c wie folgt geändert:

a) Der Wortlaut wird Absatz 1.

b) Folgender Absatz 2 wird angefügt:

(2) Einnahmen aus Tätigkeiten als Notärztin oder Notarzt im Rettungsdienst sind nicht beitragspflichtig, wenn diese Tätigkeiten neben

1. einer Beschäftigung mit einem Umfang von regelmäßig mindestens 15 Stunden wöchentlich außerhalb des Rettungsdienstes oder

2. einer Tätigkeit als zugelassener Vertragsarzt oder als Arzt in privater Niederlassung

ausgeübt werden. Für Tätigkeiten, bei denen die Einnahmen nach Satz 1 nicht beitragspflichtig sind, bestehen keine Meldepflichten nach diesem Buch.“

 

3. §118 wird wie folgt gefasst:

"§ 118

Übergangsregelung für Tätigkeiten als Notärztin oder Notarzt im Rettungsdienst

§ 23c Absatz 2 gilt nicht für Einnahmen aus einer vor dem ... [einsetzen: Tag des Inkrafttretens nach Artikel 3 Absatz 1 dieses Gesetzes] vereinbarten Tätigkeit als Notärztin oder Notarzt im Rettungsdienst.“

 

Artikel 1b

Änderung des Siebten Buches Sozialgesetzbuch

Das Siebte Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung (Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254), das zuletzt durch Artikel 8 des Gesetzes vom 23. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3234) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

1. Dem § 2 Absatz 1 Nummer 13 wird folgender Buchstabe d angefügt:

,,d) Tätigkeiten als Notärztin oder Notarzt im Rettungsdienst ausüben, wenn diese Tätigkeiten neben

aa) einer Beschäftigung mit einem Umfang von regelmäßig mindestens 15 Stunden wöchentlich außerhalb des Rettungsdienstes oder

bb) einer Tätigkeit als zugelassener Vertragsarzt oder als Arzt in privater Niederlassung

ausgeübt werden,“.

2. Nach § 135 Absatz 4 wird folgender Absatz 4a eingefügt: 

„(4a) Die Versicherung nach § 2 Absatz 1 Nummer 13 Buchstabe d geht der Versicherung nach § 2 Absatz 1 Nummer 1 und 9 vor.“

 


(Anm. BV-H: Mit dem Rechtsbegriff "Beschäftigung" ist stets ein Angestelltenverhältnis (= abhängige Beschäftigung) gemeint.)

In der Ausschussdrucksache des 14. Ausschusses für Gesundheit (18/11205) wird dazu ergänzend ausgeführt: 

"Die Notarztversorgung in Deutschland erfolgt weit überwiegend durch Ärztinnen und Ärzte, die diese zusätzlich zu einer Tätigkeit übernehmen. Angesichts einer steigenden Anzahl von Notarzteinsätzen nimmt der Bedarf an geeigneten Notärztinnen und Notärzten im Rettungsdienst zu. Gerade in ländlichen Regionen steht die Notarztversorgung deshalb vor besonderen Herausforderungen. Die notwendige Versorgung kann ohne Ärztinnen und Ärzte, die zusätzlich zu einer Tätigkeit notärztliche Dienste im Rettungsdienst übernehmen, vor Ort nicht anderweitig sichergestellt werden.

Die Sicherstellung einer flächendeckenden notärztlichen Versorgung ist im Interesse des Allgemeinwohls und zum Schutz von Leben und Gesundheit von Patientinnen und Patienten in Akutsituationen notwendig. Mit der Neuregelung wird dieses zusätzliche Engagement von Ärztinnen und Ärzten erleichtert.

Die Regelung beschränkt sich auf Ärztinnen und Ärzte, die ihre notärztliche Tätigkeit im Rettungsdienst zusätzlich zu einer Beschäftigung mit einem Mindestumfang von 15 Stunden wöchentlich außerhalb des Rettungsdienstes ausüben. Ferner gilt sie für zugelassene Vertragsärztinnen und -ärzte sowie Ärztinnen und Ärzte, die eine Privatpraxis betreiben, in Bezug auf ihre zusätzliche notärztliche Tätigkeit.

Satz 2 bestimmt, dass für die in Satz 1 näher bezeichneten beitragsfreien Tätigkeiten keine Meldepflichten nach diesem Gesetzbuch bestehen.

Folgeänderung zu § 23c Absatz 2.

§ 23c Absatz 2 soll keine Wirkung auf bereits bestehende Vertragsverhältnisse entfalten. Daher bleibt es für Tätigkeiten als Notärztin oder Notarzt, die bereits vor dem Inkrafttreten der Neuregelung des § 23c Absatz 2 vertraglich vereinbart worden sind, in Bezug auf die Beitragspflicht zur Sozialversicherung bei dem am Tag vor Inkrafttreten des § 23c Absatz 2 geltenden Recht."

Anm. BV-H:  Ob mit der Formulierung "auf bereits bestehende Vertragsverhältnisse" ausschließlich Beschäftigungsverhältnisse oder auch vorbestehende Honorararztverträge gemeint sind, ist uns noch unklar. Zudem entfaltet diese Formulierung keine Wirkung, da neue Vertragsverhätlnisse schnell abgeschlossen sind.


Es folgt ein Kommentar zum Gesetz von unserem Justiziar - Rechtsanwalt Markus Keubke - der seit Jahren mit der Arbeitsweise und der Argumentation der Deutschen Rentenversicherung vertraut ist und bereits so manches Verfahren wegen angeblicher "Scheinselbständigkeit" erfolgreich führte:

"Das Gesetz greift zu kurz und ist schlecht. Es ist ein typisches Beispiel des gesetzgeberischen Aktionismus ohne fachlichen Hintergrund oder Durchdringung der Problematik. In der Sache geht sowohl den Notärzten, den honorarärztlich tätigen Notärzten und auch den Honorarärzten nicht um das „Einsparen“ oder die „Nichtzahlung“ von Sozialabgaben. Diese werden entsprechend den gesetzlichen Vorgaben des SGB V, SGB XI, den Heilberufsgesetzen der Bundesländer etc. gezahlt. Eine vom Gesetzgeber nunmehr „generös“ gewährte Freistellung ist weder notwendig noch gewollt.

Es geht den genannten Ärzten lediglich darum, dass ihre Tätigkeit nicht willkürlich als abhängige Beschäftigung gewertet wird, sondern als das, was es ist - eine selbständige Tätigkeit. Der zur Zeit wohl überwiegende Teil der Rechtsprechung und die Praxis der DRV stuft diese selbständige Tätigkeit jedoch willkürlich als eine abhängige Beschäftigung ein, indem je nach Lust und Laune mal das eine und mal das andere und dann wieder noch ein anderes Indiz für eine abhängige Beschäftigung herangezogen wird, um den ganzen Vertrag als einen solchen zu bewerten. Dabei folgt diese Praxis keiner rechtlich sauberen und nachvollziehbaren Begründung. Es ist schlicht nicht Einsehbar, warum mal das Fehlen von eigenen Betriebsmitteln, mal die Einbindung in die Vermögensschadenhaftpflichtversicherung des Auftraggebers, mal ein angeblich fehlendes Unternehmerrisiko und mal die kollegiale ärztliche Zusammenarbeit (vgl. § 29 MBO-Ä) das ausschlaggebende Indiz für eine abhängige Beschäftigung sein sollen. In keinem der bisher ergangenen Urteile findet sich dazu eine schlüssige Begründung, wobei die wohltuenden Ausnahmen an dieser Stelle unberücksichtigt bleiben sollen, da eine Minderheit.

Diesem rechtlich nur schwer nachvollziehbarem Tun folgt nun der Gesetzgeber mit einem Schnellschuss aus Anlass der notärztlichen Versorgungsengpässe in Vorpommern. Der Gesetzesentwurf dient dabei lediglich der Symptombeherrschung therapiert aber nicht die Krankheit. Der Gesetzgeber hätte aufbauend auf den Änderungen zu § 2 KHEntgG und § 2 BPflV klarstellen können, dass eine selbständige Tätigkeit von Honorarärzten gleich welcher Genese im Rettungsdienst und im Krankenhaus möglich ist. Er hätte auch regeln können, dass dieses nur als abhängige Beschäftigung möglich ist. Beides tat er nicht, stattdessen entschied er sich für den (falschen) dritten Weg und will die Ärzte von Sozialabgaben befreien, die diese sowieso abführen. Gröber kann die Problematik nicht verkannt werden. 

Die geplante Neuregelung ist auch nicht geeignet, Rechtssicherheit über den Status der Tätigkeit an sich zu bringen. Lediglich eine mögliche Doppelzahlung der Sozialabgaben durch den Auftraggeber wird verhindert. Diese spielt aber in der Praxis letztlich keine herausragende Rolle, da selbst die DRV im überwiegenden Teil aller (Widerspruchs-)Bescheide letztlich nur die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung und zu den U1/U2-Umlagen fordert. Lediglich mit Blick auf den § 266a StGB kann hierin eine Erleichterung gesehen werden. Problematisch ist hierbei jedoch, dass die Auftraggeber nunmehr reine Arbeitnehmerdaten vom Auftragnehmer abfordern müssen, um zu prüfen, ob die Voraussetzungen des neuen § 23c Abs 2 SGB IV vorliegen. Damit könnte dann letztlich ein anderes Indiz für eine abhängige Beschäftigung erfüllt sein, so dass sich auch hier die Katze in den Schwanz beißt.

Fazit: Im Ergebnis wird diese Neuregelung daher weder Klarheit in der Grundproblematik schaffen, noch die Lage signifikant ändern. Es ist jedoch zu erwarten, dass es zu einer sprunghaften Zunahme von privatärztlichen Niederlassungen kommt."

Rechtsanwalt Markus Keubke, Erfurt - 19. Februar 2017