KV und Ärztekammer - Thema verschlafen, setzen!

Sozialversicherungspflicht von Vertretungsärzten

Zitiert aus Dtsch Arztebl 2020; 117(33-34): A-1576 / B-1348

"LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 7. Februar 2020, Az.: L 9 BA 92/18

Wer als Vertretungsärztin beziehungsweise Vertretungsarzt befristet in einem Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) tätig und damit organisatorisch, personell und sachlich vollständig in die vom MVZ bereitgestellte Infrastruktur eingebunden ist sowie nach Stunden bezahlt wird, unterliegt als Beschäftigte/ Beschäftigter der Sozialversicherungspflicht. Das hat das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg entschieden.

Das klagende MVZ wendete sich gegen einen Bescheid der beklagten Rentenversicherung. Diese hatte im Statusfeststellungsverfahren ermittelt, dass der beigeladene Facharzt für Innere Medizin der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung, der sozialen Pflegeversicherung sowie dem Recht der Arbeitsförderung unterliegt. Der Arzt war in einem Zeitraum von drei Monaten im MVZ als Vertretung tätig gewesen. Die Auffassung des sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses teilt das LSG. Maßgeblich sei im Rahmen des § 7 SGB IV eine Gesamtabwägung der Merkmale, die für und gegen eine Beschäftigung sprechen. Zu betrachten sei das Dienstleistungsverhältnis in seiner tatsächlichen Durchführung, nachdem die Vertragsparteien ihre Vereinbarung abgeschlossen haben. Danach habe sich der Arzt für die Zeit vom 1. Oktober 2015 bis zum 31. Dezember 2015 vertraglich verpflichtet, in diesem zusammenhängenden Zeitraum monatlich bis zu 32 Stunden ärztliche Dienstleistungen in den Räumlichkeiten der Klägerin zu erbringen.

Der Arzt sei während seiner Tätigkeit weisungsabhängig und in ein fremdes Unternehmen eingegliedert gewesen. Er habe nur ein untergeordnetes Unternehmerrisiko gehabt. Eine Selbstständigkeit ergebe sich auch nicht aus den Vorgaben des Vertragsarztrechts für das MVZ. Die dem Arzt vertraglich garantierte fachliche Weisungsfreiheit könne nicht ohne Weiteres als ausschlaggebendes Abgrenzungsmerkmal herangezogen werden. Dass er allein die Befunde erhoben, die Diagnosen gestellt und die Empfehlungen gegeben hat, entspricht nach Meinung des Landessozialgerichts allein seiner (fach)ärztlichen Verantwortung und ist für die Frage der Eingliederung als neutral anzusehen. Diese Stellung kennzeichne jeden Spezialisten."

Kommentar

Seit Jahren(!) erreichen uns immer wieder Informationen über Betriebsprüfungen der DRV im Umfeld von MVZ und Arztpraxen bezüglich der sozialversicherungsrechtlichen Einordnung von Praxisvertretungen. Bisher waren dies bei uns eher Einzelfälle. Trotzdem haben wir - ebenfalls vor Jahren(!) - die KBV und einzelne KVen aber auf das Thema aufmerksam gemacht. Bisher ohne besondere Resonanz. Die "Tipps" einzelner KVen erschöpften sich in der Empfehlung, bei Zweifeln, ein Statusfeststellungsverfahren durchzuführen. Dies führt nach unserer Erfahrung in 99,99% aller Fälle zur Feststellung einer abhängigen Beschäftigung. Und was machen die Arztpraxen dann? Warum haben die kassenärztlichen Vereinigungen für ihre MItgieder bisher nichts in dieser Sache unternommen und das Thema weitestgehend verschlafen?

Wohin dies führt, dürfte seit dem Urteil des BSG vom Juni 2019 klar sein. Es ist also nur noch eine Frage der Zeit, dann wird auch der Praxis-Vertretungsarzt in der jetzigen Form kaum noch auf freier Basis möglich sein. Ob sich der Vertragsarzt eine Vertretung in ANÜ leisten kann, möchten wir bei den durchschnittlich 100% höheren(!) Stundensätzen bezweifeln.

Leider können wir gegen tiefschlafende Standesvertreter und ebenso verschnarchte Standesorganisationen nicht viel tun, wie die bisherige Erfahrung im Bereich der Klinikhonorarärzte gezeigt hat. Anstatt den freien Arztberuf auch politisch mit mehr Druck einzufordern, freut man sich in diesen Kreisen mutmaßlich darüber, dass auch dieser „Wildwuchs“ von ärztlicher Freiheit endlich an die Kandarre genommen wurde. Ansonsten dürfte ein solches Urteil nicht ohne massive(!) Proteste aus Kammern und KVen bleiben.

Ich habe davon bisher nichts gehört. Sie!?

N. Schäfer - August 2020

für den

Bundesverband der Honorarärzte e.V.
https://www.bv-honoraraerzte.de
Flemmingstraße 9
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